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Hochtour

Finsteraarhorn I

10.06.2017

Wache zu einem herrlichen Morgen auf. Angenehm kühl strömt die Luft durch die offenen Fenster in meine Wohnung herein, voll von den Versprechen des nahenden Sommers. Die eben aufgehende Sonne taucht Ostlaube und Küche in goldiges, warmes Licht. Noch ruht der Berufsverkehr, auf Strassen und Wegen sind kaum Menschen unterwegs. Das Dorf atmet, ein wenig nachttrunken, tief und ruhig. Schwer sich vorzustellen, dass hier in einer knappen Stunde lärmige Betriebsamkeit herrschen wird. Ein warmes Lichtblau überzieht den wolkenlosen, klaren Himmel. Bei dieser friedvollen, vorsommerlichen Morgenstimmung wird mir das Herz ein wenig schwer beim Gedanken, heute ins Hochgebirge aufzubrechen. Wer geht denn jetzt noch auf Skitouren?

Föhnschleier über der Grünhorngruppe.
Lüfte über dem Fiescher Gabelhorn.

So komme ich erst kurz vor Mittag auf dem Jungfraujoch oben an. Doch trotz der vorgerückten Zeit sind die Schneeverhältnisse perfekt. Der Sulz ist nur gerade an der Oberfläche leicht aufgetaut. Auf der Fahrt zum Konkordiaplatz hinunter überhole ich zwei Seilschaften. Diese sind bereits zu Fuss unterwegs. Mühelos und weiträumig ziehe ich meine Bögen mit respektvollem Abstand an ihnen vorbei. Vermutlich hätten die sich in dem Moment auch Skier gewünscht. Unten, wo der Jungfraufirn ausflacht, drehe ich mich nach ihnen um. Noch immer scheinen sie fast am gleichen Ort zu sein. Ein paar winzig kleine, schwarze Pünktchen in der gleissenden Gletscherlandschaft. Die armen Kerle.
Am östlichen Rand des Konkordiaplatzes mache ich es mir auf einem der vielen hier herumliegenden Steinblöcken gemütlich. Vor mir liegt mein Tagwerk, der Aufstieg zur Grüenhornlücke.

Die Konkordiahütte am Fusse des Fulbärgs.

Nach einer kurzen Mittagspause setzte ich, frisch gestärkt und frohgemut, meinen Weg fort. Bei jedem Schritt drücken sich die Skier ein paar Zentimeter in den aufgeweichten Schnee. Ein leichter Ostwind hält mir die Hitze des Nachmittages vom Leibe. Nach etwas mehr als einer Stunde legt sich der Hang zurück, die Lücke vor mir zum Greifen nahe. Mit dem Blick stur auf den Skispitzen, felle ich die letzten Meter hoch. Erst dann hebe ich wieder meine Augen. Und da steht es, in voller majestätischer Grösse und Pracht: Das Finsteraarhorn! Wie nahe dem Himmel und wie weit weg der Gipfel ist. In meinen Gedanken leuchten Erinnerungen an meine Bergsteigerreisen im Himalaya auf. Dieser Ausblick ist einer der ganz wenigen in den Berner Alpen mit Achttausenderformat. Grossartig! Mit Respekt, Ehrfurcht und auch einem Hauch Bangigkeit bestaune ich den Berg. Er so hoch und massig, ich so klein. »Und dort willst du morgen wirklich hoch«, denke ich?

Vom Konkordiaplatz über die Grünhornlücke.
Das Finsteraarhorn.

Nach einer kurzen Rast schultere ich meinen Rucksack, bereit für die Abfahrt. Dem einen oder anderen, der die Lücke überschreitet, mag es hier nun vielleicht wie mir ergehen. Sie oder er wird vor der Abfahrt vielleicht ebenfalls kurz inne halten im Bewusstsein von der unsichtbaren Grenze, welche hier verläuft. Eine Grenze zwischen der „zivilisierten“ Bergwelt mit Jungfraujoch, Aletschgletscher und Lötschenlücke einerseits, sowie dem in sich geschlossenen, von allen Seiten abgeschirmten, grossen Gletscherbecken des Walliser Fiescherfirns andererseits. Eine Welt für sich, ein abgelegenes Juwel am östlichen Rande der Berner Alpen. Gebe mir innerlich einen kleine Schubs und runter geht’s, ab »into the wild«.
Zwei Stunden später sitze ich mit hochgekrempelten Ärmeln und offenem Hemd, gemütlich auf der sonnenwarmen Steinplatte vor dem Eingang zur alten Hütte. Die neue Hütte ist geschlossen. In der Zwischensaison lohnt sich deren Betrieb nicht. Mir soll es Recht sein. Habe immer ein wenig Mühe mit diesen hochalpinen, hochmodernen Gästeunterkünften. So sehr ich auch, wenn es sich trifft, die Gastfreundschaft der Hüttenwarte und den Komfort schätze. Unweit der Hütte rauscht ein grosser Schmelzbach. Ein paar Bergfinken leisten mir Gesellschaft. Schmetterlinge, Kleiner Fuchs, flügeln von Hahnenfuss zu Hahnenfuss. Geniesse die Aussicht und realisiere, welch aussergewöhnlich schöner Ort das hier ist. Frage mich, wieso mir das nicht schon früher so deutlich aufgefallen war. Vielleicht hat es mit dem Alter zu tun. Im Wissen um die Endlichkeit meiner Zeit wird das Erleben intensiver. Die Hütte mit ihren zwölf Plätzen habe ich ganz für mich alleine. Welcher Luxus.

Die Finsteraarhornhütte.
Aussicht von der Hütte auf einen Teil der Wannenhorngruppe.

Geniesse die Aussicht und realisiere, welch aussergewöhnlich schöner Ort das hier ist. Frage mich, wieso mir das nicht schon früher so deutlich aufgefallen war. Vielleicht hat es mit dem Alter zu tun. Im Wissen um die Endlichkeit meiner Zeit wird das Erleben intensiver. Die Hütte mit ihren zwölf Plätzen habe ich ganz für mich alleine. Welcher Luxus.

Fortsetzung unter "Finsteraarhorn II"

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